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Zeus Ammon Bild1

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Zeus Ammon
Hermenbüste, etwas überlebensgroß
Inv.-Nr. Sk 113

Römische Kopie, um 30–50 n. Chr. nach einem griechischen Zeus Ammon um 450–440 v. Chr.

Weißer, feinkristalliner Marmor

H insgesamt 41,5 cm
H Kopf 30 cm
B an Schläfen 13,5 cm
B Büste vorn 28,5 cm
T Büste r. Seite 22,5 cm



Zugang: Dauerleihgabe des Landes Hessen seit 1961


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Erhaltungszustand/Restaurierung: Unergänzt. Abgebrochen und verloren: l. Schulter der Büste hinten (abgesprengt durch antiken Eisenstift), Nasenrücken, Oberlippenbart und Teile des Widdergehörns, Bartspitze. Antike Anstückungen verloren: mit Eisenstiften angefügte Teile des Widdergehörns, die Ohren und die rechteckigen Armstümpfe, der stiftlos angestückte Hinterkopf (runde glatte Schnittfläche, Dm 13 cm), der separat gearbeitete Hermenschaft. Oberfläche korrodiert, braun versintert und bestoßen, bes. l. Auge, Haare, Hinterkopf (Delle), Büstenrand. Restaurierung 1973/75: gereinigt, partiell entsintert, Medusenkopf auf RS freigelegt, neuzeitlicher Dübel in r. Schulter entfernt, mit Standdübel gesockelt. Restaurierung 1985: gereinigt, entsintert, leere Stiftlöcher im Widdergehörn freigelegt, antike Stifte gefestigt.

Beschreibung: Auf nackter Hermenbüste wendet Zeus Ammon den bärtigen Kopf mit Widdergehörn und -ohren zur rechten Seite. Über der Stirn des Antlitzes mit ruhig majestätischem Blick sind wellige Locken, breit ansetzende Hörner und ein verdeckter Reif nahezu horizontal miteinander verflochten. Von den Schläfenecken führen die Hörner zur Seite und dann sich krümmend, verjüngend und sich mit ihren Spitzen an die Kopfseiten anschmiegend um die abstehenden Widderohren herum. Für die separat gearbeiteten, angestückten Hornteile (je 1 Stiftloch) sind die Locken um die Ohren summarisch flach modelliert. Die Hornspitzen endeten vermutlich unten vorn am Schläfenhaar. Die Hörner sind nach Ausweis der erhaltenen Ansätze auf der Vorderseite naturnah gewölbt und gekehlt sowie radial geriefelt. Der Reif ist seitlich über den runden Ohransätzen kurz sichtbar und kommt hinten in der Einschnürung zwischen Hinterkopf- und Nackenhaar wieder zum Vorschein. Breite flache sichelförmige Locken bilden das Kalottenhaar. Sie gehen annähernd radial und sich überlagernd von einem Wirbel weit hinten auf dem Oberkopf aus. Das Nackenhaar besteht an den Seiten aus kurzen fülligen Locken und am unteren Rand aus langen flach-welligen Strähnen, die nach hinten gelegt sind und in der Nackenmitte aufwärts unter den Reif führen. Die Haartracht der Hinterkopfmitte ist mit der Anstückung verloren gegangen. Der Schnurrbart bedeckt die Oberlippe, die Spitzen auf dem Backenbart zeigen leicht nach außen. Der Backenbart setzt an den Wangen mit einer Lage kürzerer Sichellocken an; längere Locken sind vom Kinn/Halsansatz nach vorn gestrichen. Die Haare des vorspringenden Kinnbartes bilden auf dem Kinn eine kompakte, etwas nach links tendierende S-Form, bevor sie in sichelförmigen Lockengruppen enden. Markant ist auf dem Kinnbart die kurze flache Lockengruppe, die direkt an der Unterlippe beginnt. Der leicht geöffnete Mund mit oberer Zahnreihe lässt den Orakelgott sprechfähig erscheinen.

Mit je zwei antiken Eisenstiften übereinander waren Armstümpfe an den seitlichen Schulterschnittflächen montiert; der Stift rechts oben (vierkantig geschmiedet, mit Blei in rundes Bohrloch eingesetzt) ragt 2,5 cm heraus; vom zweiten Stift auf der linken Seite befinden sich Reste im Bohrloch. Auf der Rückseite der Büste hat vermutlich der antike Kopist oder Eigentümer dicht über dem Rand und etwas aus der Mitte nach rechts versetzt ein kleines geflügeltes Gorgoneion flüchtig eingraviert. Es dient als übelabwehrendes, schützendes Apotropaion, auch wenn das ursprünglich scheußliche, zähnefletschende Haupt mit breitem Mund und heraushängender Zunge, bisweilen bärtig, geflügelt, wild emporstehendem Haar und züngelnden Schlangen an Schrecken verbreitender, versteinernder Wirkung verliert und sich im 5. Jh. v. Chr. zunehmend zum mädchenhaft geschönten Medusahaupt wandelt (vgl. Gorgoneion auf der Ägis von Kat. 1.5).

Dieser bärtige majestätische Kopf mit Widdergehörn gehört einer Gruppe von mindestens sieben typologisch gleichen Kopfkopien an, die anscheinend ausschließlich in Form von Hermenbüsten überliefert sind (zuletzt Leclant – Clerc 1981). Soweit an ihnen der Hals bzw. die Büste erhalten sind, scheint die Mehrzahl den Kopf nach links zu wenden, hingegen Kassel und Wörlitz nach rechts. Spiegelbildliche Wiederholungen treten im römischen Kopistenwesen gelegentlich auf, insbesondere bei der Verwendung von Kopien als Pendants in architektonisch-dekorativem Zusammenhang, wofür die pfeilerförmigen Hermenschäfte sich besonders eignen. Trotz der divergierenden Kopfrichtungen und der kleinen Abweichungen der Köpfe im Grad ihrer Seitenwendung und Neigung werden die Kopien wegen ihrer ikonographischen und physiognomischen Übereinstimmungen zu Recht als Repliken angesprochen (Berger 1958, 1962, 1968,1969; Dörig 1965, 1967). Beide Autoren folgen der langen Forschungstradition, diese Kopfrepliken auf ein Vorbild aus der Mitte des 5. Jhs. v. Chr. zurückzuführen, dessen statuarischer Figurentypus zwar noch nicht nachgewiesen ist, aber mit der schriftlichen Überlieferung einer hochklassischen Kultstatue des Zeus Ammon in Verbindung gebracht wird.

Auf der Suche nach dem zugehörigen Körpertypus sind zwei Rekonstruktionen vorgeschlagen worden. Die erste sieht vor, die rechtsgewendete Kopfversion Kassel-Wörlitz mit der akephalen Mantelhermenkopie Rom MN 8643 ›Ludovisi‹ zu verbinden und somit in Analogie zu den Kopfkopien in Gestalt der Hermenbüsten das Vorbild mit einem Hermenschaft zu vervollständigen (Berger 1958, 1962; Dörig 1967, 1968). Diese Rekonstruktionsidee fand keinen Zuspruch, da diese Mantelherme in Gewandung und Armhaltung für Hermestypen charakteristisch ist und stilistisch nicht dem 5. Jh. v. Chr. angehört. Eine erneute und plausible Rekonstruktion des Vorbildes in Hermenform als einer uralten Kultbildgattung, auf die in klassischer Zeit bewusst zur Vergegenwärtigung altvertrauter Gottheiten zurückgegriffen wird (Willers 1975), wurde bisher nicht unternommen. Die zweite Rekonstruktion verknüpft die linksgewendeten Kopfversionen des Zeus Ammon anhand des Neapler Hermenkopfes aus Herkulaneum mit dem Torso Slg. Milles in Stockholm (Berger 1968, 1969). Der Torso im klassischen Stand- und Ponderationsschema wendete den verlorenen Kopf zur linken erhobenen Schulter, von der eine große Ägis mit Gorgoneion an der Spielbeinseite herabhängt. Die stilistisch-chronologisch mögliche Kombination von Hermenkopf und statuarischem Körper ergänzt Berger durch weitere motivische und historische Argumente. Er erwägt, in dem Torso mit der Ägis (Ziegen- oder Widderfell) die erste griechische, statuarische Bildfassung des seit Homer bekannten Zeus Aigiochos zu erkennen und diesen Zeus primär mit der Vorstellung des Widderfell bzw. Widdergehörn tragenden Zeus Ammon zu verknüpfen. Dessen Kult ist in Griechenland erst seit der Mitte des 5. Jhs. v. Chr. bezeugt und wird in Zusammenhang mit den Nachrichten über die Beziehungen zwischen Kyrene, dem in Libyen gelegenen Ammoneion in der Oase Siwa und Hellas gesehen. Der Dichter Pindaros (522/518?–446/445 v. Chr.) liefert den ältesten Beleg für die griechische Verehrung des Zeus Ammon (P. 4, 16 [462/461 v. Chr.] und fr. 24). Der Dichter hat für den Zeus Ammon-Tempel in seiner Heimatstadt Theben von dem Künstler Kalamis die Kultstatue (Agalma) herstellen lassen (Paus. 9, 16, 1). Der dafür in Betracht zu ziehende Zeitraum liegt wahrscheinlich zwischen der erstmaligen Erwähnung dieses Kultes und dem Tod des Dichters. Die unsichere Kenntnis des Œuvres des Kalamis bietet keine zusätzliche Präzisierung für eine stilistische oder chronologische Zuschreibung unseres Kopftypus an diesen Künstler; immerhin deckt sich seine vermutliche Schaffenszeit mit der stilistischen Datierung der Hermenbüsten (Moreno 2001). Das antiquarische Detail des eingravierten Gorgoneions hinten auf der Kasseler Hermenbüste regt Berger zur Vermutung an, dass damit nicht lediglich eine Art Firmenstempel, Besitzermarke oder übelabwehrendes Schutzzeichen gemeint sein könnte, sondern ein Hinweis auf eine inhaltliche Verbindung zu dem kopierten Vorbild der Zeus Ammon Aigiochos-Statue vorliegen könnte. Eine archäologische Bestätigung oder Widerlegung der statuarischen Rekonstruktion Bergers konnte bislang nicht erbracht werden. Seine chronologisch stimmige Kombination hat zur Folge, dass die rechtsgewendeten Köpfe des Zeus Ammon Typus Kassel-Wörlitz als seitenverkehrte Kopien der Hermenbüstenserie zu betrachten wären. Außer der Kultstätte in Theben ist ein weiteres griechisches Ammoneion des späteren 5. Jhs. v. Chr. in Aphytos (Chalkidike) durch bauliche Reste und Kupfermünzen mit Kopf des Zeus Ammon (424–358 v. Chr.) bekannt.

Publiziert:
Berger 1962, Nr. 3 Abb.; E. Berger, Kunst in Hessen und am Mittelrhein 1/2, 1961/62, 59 Abb.; J. Dörig, JdI 80, 1965, 200 ff., Abb. 51–52. 54; J. Dörig, AntPl 6 (1967) 23 Anm. 17; 59 ff. Anm. 3 Abb. 4 Typus Wörlitz-Kassel, Liste; E. Berger, AntK 11, 1968, 138 ff. Taf. 39, 1–3 Gipsrekonstruktion; E. Berger, RM 76, 1969, 86 Taf. 37, 1–4; LIMC I (1981) 671 f. Nr. 29* s. v. Ammon (J. Leclant – G. Clerc); H. Beck – P. C. Bol – M. Bückling (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom – Abwehr und Berührung. AK Frankfurt (2005) 187 ff. 543 f. Nr. 18. 107 Abb. (St. Schmidt).


Literatur: Zum Typus: Lippold 1950, 180; Berger, RM 65, 1958, 18 f. Anm. 70 Mantelherme Rom Mus. Naz. 8643; Helbig III 4(1969) Nr. 2327 (W. Fuchs); Vermeule, ClJ 58, 1962, 3 f. Anm. 9 Nr. 1; Comstock – Vermeule 1976, Nr. 140. 141; LIMC I (1981) 671 f. Hermen Nr. 22–27. 29 s. v. Ammon (J. Leclant – G. Clerc). – Zu Zeus Ammon-Heiligtümern: LIMC a. O. 666 f. 684. – Zum Ammoneion Aphytos-Athytos/Kassandra: Ph. Petsas, ADelt 25, Nr. 2, 1970, 354 ff.; E. Lebentopoulou-Giouri, AAA 4, 1971, 356 ff.; I. A. Papangelos, Chalkidike (1985) 90 f.; K. P. Kuhlmann, Das Ammoneion. Archäologie, Geschichte und Kultpraxis des Orakels von Siwa (1988); G. Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches (Darmstadt 2004) 10 mit Anm. 6. – Zum Porträt des Pindaros: AK Berlin 2002, 213 f. Nr. 126 Abb. (R. Krumeich). – Zu Kalamis: Vollkommer 2001, 377 f. s. v. Kalamis (I) (P. Moreno). – Zu Zeus Aigiochos: Schröder 2004, Kat. 176. 177. – Zu Alexander Aigiochos: H. Beck – P. C. Bol – M. Bückling (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom – Abwehr und Berührung. AK Frankfurt (2005) 226 f. 557 ff. Nr. 22. 126–129 (C. Reinsberg). – Zu hochklassischen Hermen: D. Willers, Zu den Anfängen der archaistischen Plastik in Griechenland, AM Beih. 4 (1975) 34 f. 40 f.; H. Wrede, Die antike Herme (1986).

(PG)

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